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Zum Lesen noolErinnerungen an die Schulgründung

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Im Frühjahr 1989 wurde im Rahmen der Fortbildungskurs am Pädagogischen Institut in Tallinn von der estnischen Anthroposophischen Gesellschaft aus Finnland Hr. Freddy Heimsch, ein Heilpädagoge, einen Vortragskurs zu halten, gebeten. Er war einer der Begründer des Heimes für die geistig behinderte Kinder, in Sylvia-koti, und auch Mitbegründer der Waldorfschule in Lahti. Vor der Zeit, wenn Estland wieder unabhängig wurde, war er der Erste, der einen öffentlichen Vortragskurs hielt über die Entwicklungsstadien des Kindes und Grundprinzipien der Waldorfpädagogik. Für die erst im Herbst 1988 wiedergegründeten Anthroposophische Gesellschaft war es ein wesentlicher Schritt in Richtung Öffentlichkeitsarbeit. Im Gespräch nach dem Vortrag berichtete Freddy Heimsch auch über seine Erfahrungen in der Waldorfschulinitiativgruppe und auch über seine Tätigkeit als Schulvater an der Waldorfschule in Lahti.

Ich saß da als die einzige Nicht-Pädagogin und habe mit voller Klarheit verstanden, dass eine solche Schule, die nicht von der Staatsmacht bestimmt ist, sondern umgekehrt, ganz frei davon, viel Verständnis, Kraft und Initiative von der Elternseite braucht. Ich kam zu der Erkenntnis, dass interessierte Eltern vorausgesetzt, in Tartu die Gründung einer Waldorfschule leicht möglich wäre.

Denn, wie Freddy Heimsch nach dem Vortrag sich äußerte:“ Die Waldorfschule wird von den Eltern getragen — die müssen in einem Verein oder Gesellschaft vereinigt sein und darin müssen verschiedene Arbeitsgruppen tätig sein, um verschiedene Problemen zu lösen und Aufgaben zu erfüllen. Von den Eltern und gerade von den Eltern hängen die Gründung, die Entwicklung und die Gesundheit einer Schule, ab.“

Im Sommer 1989 veranstaltete die estnische Anthroposophische Gesellschaft in dem „Musikhaus“in Tallin, damals die einzige Alternativschule, für die Lehrer ein Treffen mit Margaret Meyercourt, der Grand Old Lady der Waldorfpädagogik in England. Die Vorträge waren voll, die Interessierten sassen sogar auf den Fensterbänken.

Da habe ich mich mit zwei initiativkräftigen estnischen Frauen getroffen. Anne Nõgu aus Rakvere erzählte mir, dass sie beabsichtigt in einem Jahr einen Waldorf-Kindergarten zu eröffnen. Das Haus und die Unterstützung von der Seite der Stadtverwaltung sind schon da. Kai Mets aus Põlva hat über Johannes Käis und sein Lebenswerk und von dem wunderbaren alten Balkenhaus im Dorf Rosma, das man in einem Jahr wieder zur Schule umwandeln könnte, berichtet. Dort könnte man die pädagogischen Prinzipien des Johannes Käis mit dem neuen, in die Zukunft orientierten Freien Waldorfschule, vereinigen. Ich habe ihrer Rede aufmerksam und mit leichtem Neid zugehört, denn in Tartu gab es nicht mehr als einige Eltern, die für ihre Kinder eine freie Schule wünschten.

Es entstand 1989 in Tartu eine neue Initiative —kinderreiche Familien gründeten einen „Familienbund“. Damals war die Haltung gegen Großfamilien eher zurückweisend und nicht besonders verständnisvoll. Das Ziel dieses neugegründeten Bundes war der Gesellschaft zum Bewusstsein zu bringen, dass die Kinder nicht das Leben der Erwachsenen stören, sondern umgekehrt — unsere Kinder stellen uns vor die Aufgabe, zeitliche und zeitlose Werte neu zu definieren, und uns dadurch selbst zu erziehen. Für die Kinder muss nur die bestmögliche Umgebung für das Aufwachsen geschaffen werden.

In diesem „Familienbund“ gab es viele, die an der Gründung einer neuer Schule interessiert waren. Am Anfang des Jahres 1990 konnte die Elterninitiativgruppe sich mit dem Dozenten der Helsinki Universität, dem Vorsitzenden der Anthroposophischen Gesellschaft in Finnland, Reijo Wilenius, treffen. Er hat dann seine Erfahrungen an der 50- jährigen Steinerschule in Helsinki mitgeteilt.

Auch der Leiter der 14.Schule Tartu, Harri Kõo, war interessiert an den Möglichkeiten, durch Kunst die Kreativität besser zu entwickeln, unterstützte die Begründung einer Klasse mit „neuer Pädagogik“. Es wurde entschieden, eine Experimentalklasse zu eröffnen, die auch von der städtischen Bildungsabteilung befürwortet wurde. Im Februar 1990 wurde eine Elternversammlung für die an Waldorfpädagogik interessierten Eltern vom „Familienbund“ zusammengerufen. Der Saal der 14. Schule war ganz voll: manche mehr enthusiastisch, andere etwas skeptisch oder zweifelnd. Der Anfang war gemacht.

Jetzt musste man auf die folgende Fragen Antworten finden: Wer wird der Erstklasslehrer sein? Was können wir als Eltern tun? Der Vorstand der estnischen Anthroposophischen Gesellschaft hat einen begabten, neulich seine Universitätsstudien absolvierten jungen Mann, Sulev Ojap, empfohlen. Er hatte sich schon seit Jahren mit der Philosophie Rudolf Steiners beschäftigt, auch seine Diplomarbeit war über dieses Thema. Sulev Ojap war bereit sich in der Waldorfpädagogik fortzubilden und die Lehrerstelle —probeweise — zu übernehmen. Der Lehrer war da.

Jetzt war die nächste Frage zu beantworten— wie könnten die Eltern ihren Beitrag dazu leisten? Auf Initiative des Vaters Tiit Urva haben wir uns am 3.März in dem Hauptgebäude der Tartu Universität getroffen. Zuerst hielt ein Mitglied des Vorstandes der Anthroposophischer Gesellschaft, Mathematikdozent Margus Tõnnov, einen kurzen Vortrag über Waldorfpädagogik. Dann wurde die Versammlung fortgesetzt, um einen Schulverein zu gründen. Am denselben Tag, wurde der Verein der Freien Schule gegründet, als der Gründer, Unterstützer und Verwalter der Tartu Vaba Waldorfkool. Die Schule fing mit ihrer Tätigkeit am 1.September 1990 an.

Es war ein bewusster Akt, dass im Vereinsnamen das Wort „Vaba“, Freie stand, um das Wesen der Schule zu betonen: gegründet auf freie Initiative, eine „freie“ Persönlichkeit gestaltend, frei von dem Druck der Staatspolitik, von dem hierarchischen Verwaltungstypus. Nicht als die Bezeichnung für „freie“ Erziehung, wie man oft fehlerhaft denkt.

Jede Waldorfschule in der Welt ähnelt den anderen und unterscheidet sich gleichzeitig. Es liegt in der Hand der Eltern, die unbemerkt und selbstlos für ihre Schule stehen, welches Gesicht und Profil jeder Schule annimmt. So war und ist auch die Waldorfschule in Tartu abhängig von den Taten, Gedanken und Haltungen der Eltern. Im Schulnamen fehlt ja im Moment das Wort „frei“, aber jede freie Tat fügt der Schule die Kraft und den Glanz hinzu, das Ziel befolgend —freien, schöpferischen jungen Menschen zu helfen das Leben zu ergreifen.

 

Ülle Pechter, Dr Med, eine der Begründer der Waldorfschule in Tartu